Traditionelle Organisationsstrukturen und -steuerung führen dazu, dass Entscheidungen oft weit entfernt vom Punkt der höchsten Informationsdichte getroffen werden. Dies wirkt sich unweigerlich auf die Geschäftsstrategie und das Portfoliomanagement aus. Informationen und Entscheidungen werden entlang von Hierarchien transportiert. Somit gehen entscheidende Informationen auf operativer Ebene oft verloren und sind nicht mehr verfügbar. Um diese Herausforderung zu lösen implementieren Unternehmen Möglichkeiten für eine agile und schlanke Softwareentwicklung, welche auf die Lieferung von Kundennutzen fokussiert ist. Eine Vorgehensweise in einzelnen Iterationen soll die Time-to-Market verkürzen und Hindernisse für eine schnelle Lieferung identifizieren und beheben. Traditionelle Strukturen, Entscheidungsprozesse und Anreize stehen oftmals in direktem Widerspruch zu agilen Werten und Prinzipien. In vielen Fällen ist so eine Einführung daher schlichtweg unzulänglich. Soziokratie, Holokratie und Soziokratie 3.0 bilden die aktuellen Ansätze um Organisationen hinsichtlich Transformation zu ändern.
Reaktion auf eine VUCA Welt
Wenige Organisationsstrukturen schaffen es heutzutage auf ein sich schnell veränderndes Geschäftsumfeld angemessen zu reagieren. Tatsächlich sind traditionelle Organisationsstrukturen nicht darauf ausgelegt, mit einer volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Welt (VUCA) umzugehen. Dies führt dazu, dass sich die Mitarbeiter von ihrem Unternehmen losgelöst fühlen und Unternehmen durch ihre Konkurrenz ausmanövriert werden. Folglich müssen Unternehmen ihre Strukturen neu gestalten, um mit diesem Phänomen fertig zu werden und ihre Fähigkeit zu verbessern, schneller als der Wettbewerb zu agieren, neue Technologien einzubinden oder neue Fähigkeiten zu erlernen.
Wir erleben einen Paradigmenwechsel sowohl in Unternehmen als auch in Start-Ups hin zu einer agilen Unternehmenskultur. Die meisten dieser agilen Transformationen bleiben hinter den Erwartungen zurück. Meistens verbessern sich die Verhältnisse kurzfristig gefolgt von Stagnation oder sogar Verschlechterung. Heute gibt es verschiedene Systeme, Modelle, Muster und Frameworks, die Unternehmen dabei unterstützen, ihre Fähigkeiten zur Veränderung zu erweitern und gleichzeitig die Mitarbeiter einzubinden. Im Folgenden betrachten und vergleichen wir (stark vereinfacht) große Methoden für Selbstorganisaton– Soziokratie, Holokratie, Soziokratie 3.0 und stellen die Herausforderungen fest, die diese jeweils mit sich bringen. Die Methoden gründen auf der Soziokratie, besser gesagt der Soziokratischen Kreis Methode.
Soziokratie [link]
Die Soziokratie ist ein ganzheitlicher Systemansatz für effiziente Unternehmensführung, integrative Entscheidungsfindung und die laufende Bewertung und Verbesserung einer Organisation. Da sie transformierend und leichtgewichtig ist und viele der Fallstricke „traditioneller“ Steuerungssysteme vermeidet, fügt sich die Soziokratie perfekt in die bestehenden Strukturen einer Organisation ein. Sie entwickelt sich langsam weiter und kann nach Bedarf skaliert werden. Um eine Organisation effektiv zu führen, bedarf es sowohl eines minimalen Satzes von Richtlinien also auch ein Entscheidungsfindungsprozess, der schnelle und nachhaltige Vereinbarungen ohne lange Diskussionen ermöglicht. Somit machen sich sozialdemokratische Organisationen widerstandsfähiger gegen eine sich verändernde Umwelt. Die Soziokratie gründet 7 Grundwerte und 4 Basisprinzipien.
Die 7 Grundwerte
Effektivität
Effektivität: geht über die reine Effizienz hinaus und berücksichtigt sowohl das Gesamtbild als auch die Auswirkungen von Maßnahmen.
Empirismus
Man sollte Dinge auf der Grundlage von Beweisen tun. Durchgeführte Experimente müssen gemessen, Hypothesen müssen geprüft und getestet werden. Wissen muss man auf der Grundlage neuer Erfahrungen neu bewerten.
Gleichwertigkeit
Mitarbeiter, die von Entscheidungen betroffen sind, werden in die Entscheidungsfindung mit einbezogen. Sie erhalten die Möglichkeit, Veränderungen selbst zu bestimmen und zu beeinflussen.
Konsent
Man sollte Dinge tun, wenn es keine Gründe gibt, sie nicht zu tun. Das Prinzip lautet „gut genug für jetzt und sicher genug, um es zu versuchen“. Streit und Diskussionen sind als positiv zu betrachten, solange sie darauf abzielen einen gemeinsamen Konsens zu erreichen.
Kontinuierliche Verbesserung
Von Vergangenem Lernen und sich verbessern, Lernkreise schließen.
Transparenz
Offenheit, Sichtbarkeit und Verständlichkeit für diejenigen, die wissen müssen oder betroffen sind. Es ist wichtig, Informationen für alle zugänglich und verständlich zu machen, es sei denn, es gibt einen guten Grund zur Vertraulichkeit.
Verantwortlichkeit
Übernahme von Verantwortung für die Gesamtziele der Organisation, die Lieferung des Zugestimmten.
Die 4 Basisprinzipien
Offiziell gibt es in der Soziokratie vier Basisprinzipien
Konsent
Der Konsent regiert die Beschlussfassung
Das erste Prinzip der Soziokratie ist, dass Entscheidungen im Konsens getroffen werden müssen. Nur wenn niemand berechtigte Einwände erhebt, wird eine Entscheidung umgesetzt. Jedes Mitglied einer Organisation hat das Recht, seine Stimme abzugeben und Einwände zu erheben. Eine Opposition muss konstruktiv und argumentativ sein. Sie darf die Arbeit nicht verhindern und muss Änderungen an der fraglichen Entscheidung ermöglichen, sodass die Entscheidung in einer nächsten Runde getroffen werden kann.
Autonome Kreise
Die Organisation wird in Kreisen aufgebaut, die innerhalb ihrer Grenzen autonom ihre Grundsatzentscheidungen treffen.
Das zweite Prinzip der Soziokratie findet sich auch in der Holokratie wieder.
Die Kernstruktur der Organisation besteht aus Kreisen. Ein Kreis ist eine selbstorganisierte Zelle oder Einheit innerhalb einer Organisation, die in einem bestimmten Umfang autonom handeln kann. Jeder Mitarbeiter kann und muss an den Entscheidungen des Kreises, der seine tägliche Arbeit betrifft, mitwirken.
Doppelte Verknüpfung
Zwischen den Kreisen gibt es eine doppelte Verknüpfung, indem jeweils mindestens zwei Personen an beiden Kreissitzungen teilnehmen: ein funktionaler Leiter sowie mindestens ein Delegierter.
In der Soziokratie gibt es eine Art doppelte Verbindung zwischen den Kreisen. In der Praxis bedeutet das, dass ein Vertreter aus einem Kreis entsandt wird, um an der Entscheidungsfindung des nächst höheren Kreises teilzunehmen. Die Mitgliedern des untergeordneten Kreises wählen diesen Vertreter. Ähnlich wie in einer Demokratie, in der wir Vertreter bestimmen, die wir ins Parlament schicken, um unsere Interessen zu verteidigen. Gleichzeitig wählt der untergeordnete Kreis auch einen Leiter aus einem anderen allgemeinen Kreis. Der Grund für diese doppelte Verknüpfung ist, dass die Informationen in beide Richtungen fließen: von unten nach oben und von oben nach unten.
Funktionen und Aufgaben
Die Kreise wählen die Menschen für die Funktionen und Aufgaben, die für die Verwirklichung des gemeinsamen Zieles als notwendig erachtet wurden, im Konsent nach offener Diskussion. Das letzte Prinzip der Soziokratie ist, dass die Menschen, die zu Kreisen gehören, durch ihre Wahl und Zustimmung zu Aufgaben und Funktionen ausgewählt werden. Die Mitglieder jedes Kreises definieren die Verantwortlichkeiten und Qualifikationen, die eine Person erfüllen muss, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Der Nominierungsprozess findet in einer offenen Diskussion statt und wird abgeschlossen, wenn es keine Einwände gegen die Wahl gibt.
Die Soziokratie bietet eine elegante Lösung für die beschriebenen Probleme der VUCA Welt. Eine Struktur von Kreisen mit doppelten Verbindungen stellt sicher, dass Informationen effektiv in beide Richtungen gelangen. Der Entscheidungsprozess ermöglicht die Teilnahme delegierter Experten. Soziokratie ist agile Governance, sie erweist sich als perfekter Träger für agile Abteilungen oder Teams und ermöglicht die effektive Zusammenarbeit von agilen und nicht-agilen Gruppen. Soziokratie klingt in der Theorie wie ein Gewinnersystem für Organisationen, aber es bleibt fraglich, wie nachhaltig und skalierbar es ist. Wie bei der Demokratie ist es unmöglich, die volle Unterstützung für eine Entscheidung zu bekommen. Es bewundernswert ist, dass die Soziokratie mit allen Einwänden von Mitarbeitern konstruktiv und argumentativ umgeht, in der Realität jeoch zu idealistisch.
Holokratie [link]
Die Holakratie ist eine Weiterentwicklung der alternativen Soziokratie. Hinzu kommt ein amerikanisches Branding und ein besseres Marketing. Holokratie verspricht Reaktionsschnelligkeit, eine höhere Mitarbeiteridentifikation und ein Modell, das sich einfacher in Unternehmen einführen lässt. Diese wurde durch eine Vereinfachung und Verschlankung der Ursprungsmethodik erreicht. Sehr zur Missgunst der Soziokraten, die diese Elemente als wichtig und notwendig erachten. Die Holakratie hat aber auch ein paar Dinge verändert und hinzugefügt. Bei der Holokratie geht es darum, Organisationsstrukturen abzubauen und selbstorganisierte Teams zu bilden, die eigenständige Entscheidungen treffen können. Es ist jedoch nicht einfach, die alte Organisation mit einer festen Struktur in eine holokratische zu verwandeln.
Die 4 Prinzipien
Die Holokratie vertichtet auf rahmenschaffende Werte und stützt sich direkt auf 4 Prinzipien.
Rollen statt Stellenbeschreibungen
Die Bausteine der Organisationsstruktur von Holokratie sind Rollen. Die Holokratie unterscheidet zwischen Rollen und den Menschen, die sie besetzen, da ein Individuum zu jeder Zeit mehrere Rollen innehaben kann. Eine Rolle ist keine Stellenbeschreibung; ihre Definition folgt einem klaren Format mit einem Namen, einem Zweck, optionalen „Domänen“ zur Kontrolle und Verantwortlichkeiten. Rollen werden von jedem Kreis – oder Team – über einen kollektiven Governance-Prozess definiert und regelmäßig aktualisiert, um sich an die sich ständig ändernden Bedürfnisse der Organisation anzupassen.
Kreisstruktur
Holokratie (wie auch die Soziokratie) strukturiert die verschiedenen Rollen in einer Organisation in einem System von selbstorganisierenden (aber nicht selbstgesteuerten) Kreisen. Kreise sind hierarchisch organisiert, und jeder Kreis erhält einen klaren Zweck und Verantwortlichkeiten. Jeder Kreis hat jedoch die Autorität, sich intern zu organisieren, um seine Ziele bestmöglich zu erreichen. Kreise führen ihre eigenen Governance-Meetings durch, weisen den Mitgliedern Rollen zu und übernehmen die Verantwortung für die Arbeit in ihrem Zuständigkeitsbereich. Kreise sind durch zwei Rollen verbunden, die als „lead link“ und „rep link“ bekannt sind. Die Sitzungen von Kreises stellen die Ausrichtung auf die Mission und Strategie der breiteren Organisation sicher.
Governance-Prozess
Jeder Kreis verwendet einen definierten Governance-Prozess, um seine eigenen Rollen und Richtlinien zu erstellen und regelmäßig zu aktualisieren. Holokratie ist ein strukturierter Prozess, der integrativen Entscheidungsfindung, um Änderungen in der Unternehmensführung vorzuschlagen oder abzulehnen. Dies ist kein konsensbasiertes System, sondern ein System, das relevante Beiträge aller Parteien integriert und sicherstellt, dass die vorgeschlagenen Änderungen und Einwände gegen diese Änderungen in den Bedürfnissen der Rollen verankert sind, und nicht in den Präferenzen der Mitarbeiter.
Operativer Prozess
Holokratie spezifiziert Prozesse zur Ausrichtung von Teams an den operativen Bedürfnissen und verlangt, dass jedes Mitglied eines Kreises bestimmte Aufgaben erfüllt, um effizient und effektiv zusammenzuarbeiten. Im Gegensatz zum kollektiven und integrativen Governance-Prozess kann jedes Mitglied, das eine Rolle ausfüllt, selbst entscheiden, wie es seine Ziele am besten erreichen kann. Das Autoritätsparadigma in der Holokratie stellte einen Gegensatz zu einer traditionellen Managementhierarchie dar. Anstatt die Erlaubnis zum Handeln oder zur Innovation zu erbeten, gibt die Holokratie pauschale Autorität, um Maßnahmen zu ergreifen. Die Holokratie ist also stark handlungs- und innovationsfreudig und verfällt gerne in Autonomie und Freiheit. Man nutzt daher interne Prozesse, um diese Autonomie einzuschränken, wenn sich ihre Nutzung in einer bestimmten Weise als schädlich erweist.
Soziokratie 3.0
Da einige Ideen der Holokratie tatsächlich besser funktionieren, haben die Erfinder der Soziokratie den Ansatz zur Soziokratie 3.0 weiterentwickelt. Soziokratie3.0 ist ein Rahmenwerk um agile, selbstorganisierte Organisationen zu entwickeln. Es geht es darum, eine Kultur der Zusammenarbeit aufzubauen, die den natürlichen Wunsch der Menschen nach Zweck, Autonomie und Beherrschung neben ihren Grundbedürfnissen nach Beziehung und Zugehörigkeit ergänzt. S3 ist umfangreicher Leitfaden für Unternehmen, die mit Scrum oder Design-Thinking Erfolge erzielen konnten und diese ausweiten wollen. S3 ist quasi ein sich selbst-regulierendes Changemanagement, das Unternehmen bei ihrer agilen Transformation unterstützt. Die Soziokratie 3.0 beruht auf den 7 Grundwerten und 4 Prinzipien der Soziokratie. Eine essentielle Weiterentwicklung sind jedoch Treiber und Muster. Mitarbeiter fungieren als Treiber und versuchen ein Muster im Unternehmen zu etablieren.
Treiber
Ein Treiber ist das Motiv einer Person oder einer Gruppe, auf eine bestimmte Situation zu reagieren und uns motiviert, zu handeln. Sich seiner Motivation bewusst zu werden, ist entscheidend, um das Richtige zu tun und die Dinge richtig zu tun. Treiber gibt es sowohl für Einzelpersonen als auch für Gruppen (oder Organisationen). Treiber entwickeln sich ständig weiter, wenn sich die Situation (d.h. das System) ändert. Es reicht nicht aus, sie einmal zu identifizieren, sondern sie müssen kontinuierlich überprüft und erneuert werden.
Muster
Soziokratie 3.0 beinhaltet 10 Gruppen mit insgesamt 70 Mustern.
Diese sogenannten Muster sind vorgegebenen Themen die es zu erarbeiten gilt um zu einer erfolgreichen Unternehmenstransformation beizutragen. sind nicht als mandatorisches Komplettpaket zu verstehen, sondern stehen wie bei Scrum als Optionen zur Verfügung und können bei Bedarf herangezogen werden (Pull-Prinzip).
Finde eine weitere Methode im Artikel Do-mokratie [link].
Die Herausforderungen der Methoden findest du hier [link], den Lösungsansatz der GehrigBesserer GmbH kannst du [hier] nachlesen.
Schreibe einen Kommentar